Plan B

Heute mit: Benno Maggi
Defense first

Die sportliche Schweiz ist stolz auf ihre Jugendförderung, die immer wieder Toptalente hervorbringt. Und die wirtschaftliche Schweiz ist stolz auf ihre innovativen Hochschulen, insbesondere die ETH und die EPFL, die ambitionierte Startups hervorbringt. Schnell aber geraten sowohl Toptalente wie Startups ins Stocken. Weshalb? Weil Schweizer oder in der Schweiz aufgewachsene und arbeitende Sportler_innen und Jungunternehmer_innen sowie deren Financiers das Risiko scheuen. Anders gesagt: Sie denken «Defense first».

Gern rühmt man sich zwar dafür, dass man für so ein kleines Land beachtlich viele Grosskonzerne und Sport-Weltstars hervorbringt. Das stimmt, aber es ginge noch besser. In der Medals-per-Capita Rechnung (Anzahl Medaillen pro Einwohner_in) lag die Schweiz an den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro auf Rang 24. Hinter Fiji, Bahrain und Grenada. Und an den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi auf Rang 7, aber hinter Slowenien, Lettland und Holland. Das müsste doch den Ehrgeiz anstacheln!

In der Wirtschaft steht die Schweiz schlecht da – insbesondere im Bereich Job Creation, der in Zukunft den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes darstellen wird. Während in den USA nicht nur die Giganten Amazon (Gründungsjahr 1994, Mitarbeitende 2016: 351’000), Google (1998, 72’053) und Facebook (2004, 17’048), sondern vor allem auch kleinere Startups an die drei Millionen neue Jobs kreierten, blieben Schweizer Startups meist in der Anfangsphase stecken. Dabei sind ETH und EPFL ähnlich erfolgreiche Brutstätten wie in den USA Stanford und Harvard. Aber die Schweizer ETH- und EPFL-Spinoffs kommen nach der ersten Finanzierungsrunde meist nicht mehr vom Fleck, weil Risikofreudigkeit und -kapital fehlen. Die Jungunternehmer_innen geben sich mit dem Erreichten zu früh zufrieden oder basteln solange an hundertprozentiger Qualität, bis die Konkurrenz sie überholt. Und die Financiers? Die investieren meist altes Geld aus ihren Family Offices, Trusts und Fonds und prahlen damit in Rotarier-, Rennweg- oder anderen Clubs, anstatt Managementsupport zu liefern. Und wenn ab der zweiten oder dritten Finanzierungsrunde für die Skalierung des Business richtig Kohle gefragt ist, bekommen sie kalte Füsse.

Ähnlich verhält es sich im Sport. Auch Sportler_innen werden nach der Devise «Defense first» geschult, gefördert und ausgebildet. Das heisst, wenn einer stürmen will, wird er zurückgepfiffen. So erstaunt es nicht, dass sowohl im Fussball wie im Eishockey – den beiden grössten Schweizer Exportsportarten – mehrheitlich Defensivspieler_innen den Sprung ins Ausland schaffen. Dort versauern sie meist und reifen nur selten zu Weltklasse, denn für diesen Schritt braucht es neben Geduld und Glück auch die Bereitschaft, Risiken einzugehen. So gibt man sich in der Schweiz zufrieden mit Listen unzähliger im Ausland tätiger Spitzensportler_innen, die man dann im Sportteil aber vergeblich in den Aufstellungen sucht – und stattdessen in Klammern lesen muss: (nicht im Aufgebot), (Ersatz), (verletzt).

Übersetzen wir das Phänomen ins Business:  Von 40’000 Firmengründungen pro Jahr sind 10’000 echte Startups (der Rest sind Tochterfirmen, Holdings, Ich-AG). Von diesen 10’000 sind 300 im High-Innovation-Bereich tätig, und von diesen 300 überleben nicht einmal die Hälfte das erste Geschäftsjahr, geschweige denn die zweite Finanzierungsrunde. Und kein Startup hat es in den  letzten 20 Jahren geschafft, die Tausendergrenze der FTE («full time equivalent», Vollzeitbeschäftigte) zu knacken. Trotz alledem ist die Schweiz stolz auf ihre Startup-Kultur und feiert den Anteil von 92.4 Prozent an Mikro- und Kleinunternehmen im Land (<10 Mitarbeiter).

Es ist ein bisschen wie in Schweizer Fussballklubs, die regelmässig in der Qualifikation zur Champions League (der Fortune 500 des Fussballs) scheitern: Gut gespielt und trotzdem verloren. Weil zu wenig mutig oder eben zu defensiv eingestellt.

Hier schreiben abwechselnd Bruno Ziauddin, Benno Maggi, Bänz Friedli und Benjamin Steffen.